29.10.2020

Neue Behandlungsstrategien gesucht: Mit Taufliegen gegen den Lungenkrebs

Taufliegen können relativ einfach gehalten, vermehrt und genetisch manipuliert werden.

Wie kann man neue Therapieansätze für den Lungenkrebs finden? DZL-Forscherinnen und -Forscher haben ein System entwickelt, mit dem sich relativ einfach eine große Zahl potentiell therapeutisch wirksamer Substanzen untersuchen lässt. Da sie hierfür Fliegen als Modellorganismus verwenden, zeigen sie einen Weg auf, wie sich die Zahl der Tierversuche an Mäusen reduzieren lässt. Die Ergebnisse veröffentlichten sie nun in der Fachzeitschrift Altex.

Immuntherapien haben die Behandlung des Lungenkrebses revolutioniert. Sie sind allergings bei weitem nicht für alle Patienten passend. Zudem ist die Herstellung der dafür eingesetzten Antikörper komplex und vergleichsweise teuer. Die Suche nach anderen Behandlungsmöglichkeiten geht somit weiter. Einen neuartigen Weg, bisher unbekannte Therapeutika zu finden, beschreiten DZL-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler aus Kiel und Borstel. Ihr Ziel ist ein einfach auslesbares System, mit dem sich eine Vielzahl von Substanzen parallel im Hochdurchsatzverfahren untersuchen lässt. Dabei konzentrierten sie sich auf Lungenkrebstypen, die auf häufig vorkommenden Genmutationen beruhen, welche beispielsweise Zellwachstum und -vermehrung  steuern. Man nennt die betreffenden Gene Onkogene. Diese Art von Tumoren findet man etwa bei einem Drittel bis der Hälfte aller Lungenkrebspatienten.

In den Experimenten arbeiten die Forschenden mit der Taufliege Drosophila, die sich einfach halten, vermehren und genetisch manipulieren lässt. Sie transferierten jeweils eines der mutierten Gene in die Fliege und steuerten es so, dass es nur in den Atemwegen – oder Teilen davon – abgelesen wurde. Zusätzlich brachten sie das Gen des Green Fluorescent Protein (GFP) ein, um Veränderungen mithilfe einer Fluoreszenzanalyse messen zu können. Das Ergebnis: Für die 19 untersuchten Onkogene fanden die Forschenden deutliche Veränderungen. Zum Teil starben die Fliegenlarven, zum Teil waren ihre Atemwege pathologisch verändert: Die äußerste Schicht der Atemwege, das Epithel, war verdickt, ihre Verzweigung und Länge veränderte sich. Zudem vergrößerten sich Zellkerne; Zellen vermehrten sich stärker als gewöhnlich. Außerdem reagierten die Larven empfindlicher auf ein vermindertes Sauerstoffangebot. Dieses oft bei Tumoren zu beobachtende Verhalten beruht auf ihrem schnellen Wachstum, mit dem die Bildung von sauerstoffversorgenden Blutgefäßen nicht mithalten kann. Als einfach zu studierende Messgrößen konzentrierten sich die Forschenden in weiteren Experimenten auf die Sterblichkeitsrate der Fliegenlarven und die GFP-Fluoreszenz, die sie als Maßstab für die Tumormasse verwendeten.

Die DZL-Wissenschaftler und -Wissenschaftlerinnen untersuchten exemplarisch an Fliegenlarven mit einer Mutation im Onkogen Ras, welchen Einfluss die Behandlung mit verschiedenen Substanzen hat. Tatsächlich zeigte sich, dass der Wirkstoff Trametinib die Tumormasse deutlich verringert. Studienleiter Prof. Thomas Roeder von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel resümiert: „Wir konnten so belegen, dass sich dieses Testsystem nutzen lässt, um neue Substanzen für die Lungenkrebstherapie zu finden.“ Verschiedene Vorteile sind hervorzuheben: Da die Fliegenlarven in Mikrotiterplatten untersucht werden können, ist eine automatisierte Messung der Fluoreszenz möglich. So kann eine große Zahl von Substanzen aus Wirkstoffbanken parallel getestet werden. Nicht zuletzt ermöglicht die Testung an Fliegen, die Zahl an Versuchen mit Wirbeltieren – in der Regel mit Mäusen – deutlich zu verringern. Nur noch die im Fliegenversuch als vielversprechend identifizierten Substanzen müssten in Wirbeltieren getestet werden.

Ihre Ergebnisse veröffentlichten die DZL-Forscherinnen und -Forscher des Forschungszentrums Borstel und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel nun gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) im Fachmagazin Alternatives to animal experimentation.

Thomas Roeder plant, das etablierte System jetzt in der Praxis einzusetzen: „Zusammen mit dem IBMT wollen wir in nächster Zukunft viele Substanzen parallel auf ihre Wirksamkeit in unseren Lungenkrebs-Modellen für die unterschiedlichen Mutationen testen. Hierbei konzentrieren wir uns besonders darauf, neue Kombinationstherapien zu finden.“

 

Quelle: Bossen J*, Uliczka K*, Steen L, Neugebauer P, Mai MM, Fink C, Stracke F, Heine H, Roeder T (2020) Driver mutations in major lung cancer oncogenes can be analyzed in Drosophila models. Altex [Epub Oct 22]
* geteilte Erstautorschaft

Weitere Informationen [in Englisch]

 

/jbul



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