27.09.2016

Wissenschaftler von ARCN und UGMLC entwickeln neue Mikroskopie-Methode zur Untersuchung der Atemwege

Die multiphotonenmikroskopische Autofluoreszenz-Aufnahme der Trachea einer Maus zeigt Epithelzellen (grüner Pfeil), Immunzellen (gelber Pfeil), Bindegewebsfasern aus Kollagen (schwarzer Pfeil) und elastische Fasern des Bindegewebes (weißer Pfeil). (Foto: S. Kretschmer, Universität zu Lübeck)

Mikroskopischen Untersuchungen im menschlichen Körper sind enge Grenzen gesetzt, da viele Farbstoffe, die man zur Markierung von Zellen und ihren Oberflächenmoleküle verwendet, nicht eingesetzt werden können. Selbst wenn man solche Farbstoffe nutzt, kann man zwar einzelne Zellen sehen, der umliegende Gewebekontext bleibt jedoch wortwörtlich im Dunkeln. Wissenschaftler der DZL-Standorte ARCN und UGMLC arbeiten an einem Verfahren, das diese beiden Probleme umgeht und sich die sogenannte Autofluoreszenz, eine natürliche Eigenschaft von Zellen und Fasern, zunutze macht. Ihre Ergebnisse haben sie in der August-Ausgabe des Fachmagazins Laboratory Investigation veröffentlicht.

Vorgänge im menschlichen Körper – zum Beispiel des Immunsystems – werden oftmals in Modellen untersucht, die die natürliche Situation nur bedingt nachstellen. Beispielsweise befinden sich Zellkulturen in einem Nährmedium, das der Umgebung im Körper nicht wirklich entspricht. Zudem können auch Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Zelltypen nicht realistisch untersucht werden, da nicht alle beteiligten Zelltypen im Labor kultivierbar sind: Oftmals kann man sie weder in ausreichender Zahl isolieren, noch über eine ausreichend lange Zeit kultivieren. Werden die Experimente in Organkulturen oder Tiermodellen durchgeführt, lässt sich das Gewebe mit klassischen Methoden nur zu einem bestimmten Zeitpunkt als Biopsie mikroskopisch untersuchen. Man muss das Modellsystem also quasi „anhalten“, um Informationen über zelluläre Vorgänge zu erhalten. Dies stellt eine weitere Einschränkung bei der Arbeit mit Modellen dar.

Wissenschaftler aus Lübeck (DZL-Standort Airway Research Center North, ARCN) und Marburg (DZL-Standort Universities of Giessen and Marburg Lung Center, UGMLC) haben gemeinsam mit Kollegen aus Graz und Jena eine mikroskopische Methode entwickelt, die es ermöglicht, die Struktur von Atemwegsgewebe und die Kommunikation zwischen Immunzellen im zeitlichen Verlauf direkt im Gewebe sichtbar zu machen. Hierzu machen sie sich eine natürliche Eigenschaft des Körpergewebes zunutze, die sogenannte Autofluoreszenz. Bestrahlt man Zellen oder Gewebestrukturen mit Licht einer bestimmten Wellenlänge, so beginnen sie aufgrund ihrer biochemischen Eigenschaften schwach zu fluoreszieren und werden somit mikroskopisch beobachtbar. Um Strukturen voneinander zu unterscheiden, kann man Licht unterschiedlicher Wellenlängen verwenden. Nutzt man extrem kurze Infrarotpulse, können Zellen in lebenden Geweben über viele Stunden beobachtet werden. Die so entstehenden Zeitrafferfilme zeigen zum Beispiel, wie Immunzellen miteinander kommunizieren (siehe Link unter diesem Artikel).

In den nun in Laboratory Investigation veröffentlichten Untersuchungen wurde dieses Verfahren an den Atemwegen von Mäusen und an noch lebenden Biopsien von menschlichem Lungengewebe angewendet. Ohne zusätzliche Anfärbung konnten verschiedene Zelltypen (Granulozyten, Fettzellen und Epithelzellen) sowie Gewebsstrukturen (Blutgefäße, Epithelien und Bindegewebe) sichtbar gemacht werden. Die Wanderung von Immunzellen zu einer experimentell herbeigeführten Gewebsverletzung ließ sich im Zeitverlauf beobachten. Auch im Fall einer allergischen Entzündung war eine Bewegung von Granulozyten zu erkennen, die im nicht entzündeten Gewebe nicht auftrat. Unter Verwendung von Färbungen mit Antikörpern konnte das Untersuchungsspektrum noch ausgeweitet werden: So beobachteten die Wissenschaftler, dass im Entzündungsmodell sowohl neutrophile als auch eosinophile Granulozyten mit antigenpräsentierenden Zellen interagierten. Beide Zelltypen kommunizierten im Durchschnitt etwa 13 Minuten miteinander. Es ist wahrscheinlich, dass sie dadurch eine Anpassung der Immunreaktion auslösen.

Die Technik bietet weitere faszinierende Möglichkeiten, zu deren Nutzung allerdings noch einige Hindernisse zu überwinden sind. Beispielsweise lassen sich feinere Strukturen wie die Zilien – das sind kleine Flimmerhärchen, deren Zustand eine Aussage über verschiedene Erkrankungen ermöglicht – (noch) nicht darstellen, da ihre Autofluoreszenz sehr gering ist. Außerdem ist die Auflösung im lebenden Körper aufgrund der Bewegung durch Pulsschlag und Atmung noch nicht so gut wie im fixierten explantierten Gewebe. Privatdozent Dr. Gereon Hüttmann vom Institut für Biomedizinische Optik an der Universität für Lübeck sieht in diesem Bereich großes Potential: „Fortschritte in den optischen Technologien, die schon unsere Telekommunikation revolutioniert und in vielen Bereichen des Alltagslebens Einzug gehalten haben, bieten neue Möglichkeiten, die wir für die Medizin nutzen wollen.“ Die Wissenschaftler des ARCN arbeiten intensiv daran, die noch bestehenden Probleme zu lösen. Prof. Dr. Peter König von der Universität zu Lübeck sagt über die zukünftige Entwicklung: „Ziel ist es, zelluläre Prozesse direkt im menschlichen Körper sichtbar zu machen und Krankheiten so auf der Ebene von Zellen zu untersuchen.“ Wenn dies gelingt, profitieren langfristig sowohl Diagnostik als auch Therapie von Atemwegserkrankungen von der Autofluoreszenz-Mikroskopie.

Weitere Informationen: Kretschmer S, Pieper M, Hüttmann G, Bölke T, Wollenberg B, Marsh LM, Garn H, König P (2016) Autofluorescence multiphoton microscopy for visualization of tissue morphology and cellular dynamics in murine and human airways. Lab Invest 96: 918-931.

Externer Link zum Artikel

Zeitrafferfilme aus dem Artikel

 

/jbul



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